Vorwort 2

Die Beschreibung einer Fülle von Filmen von Beginn des Films bis heute wirft Fragen auf. Wer soll sich dafür interessieren? Die Fernsehprogramme haben alte Filme, gar solche in schwarzweiß, nahezu verbannt. Im Kino waren sie schon länger nicht mehr zu finden. In der Welt der DVDs, auch sie schon wieder gefährdet, ist das Angebot von Neuem wie Altem gleichermaßen breit. Stummfilme und Tonfilme werden weltweit aufwendig restauriert und erscheinen als Blu Ray. Das Publikum ist sicher nicht homogen, aber Nischen aller Art werden besser bedient als je zuvor.

Wir sehen, dass sich die Mehrheit der jungen Menschen um alte Filme, was immer das für sie bedeuten mag, generell nicht mehr kümmern. Sie sind ihnen fremd. Wir haben ferner immer gesehen, dass die ältere Generation mit den Filmen der jeweiligen Gegenwart nicht viel anfangen konnte. Filmerlebnisse prägen in einer bestimmten Phase des Lebens, später nicht mehr. Das ist die individuelle Sichtweise auf die Dinge. Es gibt auch noch eine kollektive.

In dem glänzenden Film „Der Glöckner von Notre Dame“ von Wilhelm Dieterle ist ein Unterthema, dass die Kathedralen das Alte verkörpern, die gedruckt Schrift aber das Neue, und dass Druckerpressen Königreiche zerstören können.

Der Buchdruck mit beweglichen Lettern war eine Revolution des Wortes und der Gedanken. Drucker und Buchhändler konnten kaum die Menge liefern, die gefragt war. In den 1840ern kam dann die Photographie auf. In den 1890ern der Film. Ab den 1950ern das Fernsehen. Ab den 1990ern die Digitalisierung und die sozialen Medien. Das Wachstum im digitalen Bereich wird durch die mobilen Anwendungen beflügelt.

Das Bild, das als Informations- und Kommunikationsmedium das vor Aufkommen des Buchdrucks noch sehr bescheidene Feld beherrschte, wurde durch den Buchdruck in die Rolle der Illustration gedrängt. Aber es erfuhr einen Aufschwung, denn auch Bilder werden gedruckt. Der Film kam hinzu, erst als technische Neuheit, dann, sehr schnell, als mächtiges Massenmedium. Bücher waren zugeschnitten auf ein Publikum, das sich fürs Lesen und manchmal auch für Schreiben interessierte, manchmal waren sie auch nur ein praktisches Hilfsmittel. Auch der Film arbeitete schnell mit Worten und Buchstaben, und in Hollywood hatten Zwischentitel oft ein beachtliches Niveau. Als das gesprochene Wort mit dem Tonfilm den Einzug in die Kinos hielt, holte Hollywood Verstärkung: wer als Autor gut mit Sprache umgehen konnte, hatte eine gute Chance, engagiert zu werden. Musik, zu Zeiten des Stummfilms allgegenwärtig, wurde zurückgedrängt, um im Laufe der Zeit als zusätzliches, meist wohldosiertes dramatisches Mittel zurückzukehren.

Die Dominanz des Wortes und des Theatralischen hielt sich lange. Ende der 1960er Jahre begann sie zu verbleichen. Die Branche, mit ‚neuen‘ oder ‚jungen‘ Wellen aller Art, erkannte, dass etwas anderes an ihre Stelle zu treten hatte. Die sogenannte Filmkunst hatte schon zuvor in einer Nische ein Parallelleben geführt und verließ sich weniger auf Worte, Ateliers und Dramaturgie. Aus ihr wollte man schöpfen, aber nur wenige konnten es. Eine Zuschauerkrise durch Aufkommen des Fernsehens, nun in Farbe, kam hinzu. So wurden die 1970er Jahre eine dunkle Zeit des Films. Alte Fertigkeiten, technisch und inhaltlich, gingen verloren. Aber tragfähiges Neues musste erst gefunden werden. Das Fehlen der alten Fertigkeiten führte zu Langeweile, nicht zu Ergebnissen, die künstlerische Bedeutung gehabt hätten.

In den 1980er Jahre wurde deutlicher, dass sich etwas Neues herauszubilden begann. Unterstützt durch verbesserte technische Möglichkeiten wurde das Bildhafte stärker. Der Film verließ die photographierte Wirklichkeit. Er konnte gestaltet werden wie ein Gemälde – und wurde dies auch. Für die populären genrebestimmte Filme – Science Fiction, Horror, Action – war es eine regelrechte Befreiung: die Phantasie wurde ungezügelter, wobei sie den Betrachter mit ihrer neuen Freiheit gelegentlich überforderte. Die erzählten Geschichten entwickelten optische statt theatralischer Dramaturgie, gewannen an Abstraktionspotential und damit eine zunehmend filmliterarische Dimension. Dialoge verloren das Theatralische und bemühten sich, mit gemischten Erfolg, alltäglich zu klingen. Die Oberfläche erschloss sich so einfacher, die Tiefe Schwieriger. Gestärkt wurde die Rolle der Filmmusik, auf wenn ihre Einbringung in das Gesamtkunstwerk Film gestört ist. Im Fernsehen kennen wir keinen Moment der Ruhe mehr, im Film hat die Musik die Rolle übernommen, jede Stille zu vermeiden.

Die Herausbildung von Regiepersönlichkeiten, am Ergebnis gemessen, ist in diesem Umfeld schwieriger geworden. Der Mensch wird umzingelt von farbigen, bewegten Bildchen, die nur selten eine Bedeutung für ihn entfalten. Musik und Töne sind allgegenwärtig. Wer das sein junges Leben so gewohnt war, bei dem ist es schwer, für den Film die Aufmerksamkeit aufzubringen, die frühere Generationen ihm geschenkt haben.

Auch nach diesem Paradigmenwechsel erfahren wir, dass Generationen von Stars, Moden, Themen Generationen prägen, vergessen werden, aus der Vergangenheit dann wieder entdeckt werden. Aber die große Teilung bleibt: Vor 1970, und Zeitzeugen sterben langsam aus, und nach 1980, dem Zeitalter von allgegenwärtigen Tönen und Bildern in Farbe.

Es gibt Reisende zwischen den Welten. Die Zeitzeugen der Stummfilmzeit leben nicht mehr, doch mehr und mehr ihrer Filme, soweit sie noch vorhanden sind, werden restauriert, oft mit hohem Aufwand. Ihre Welt wird aus der Distanz neu entdeckt. Das gilt für viele Nischen, die vergessen geglaubt waren. Die Jungen kümmern sich um alte Filme – und alles ist alt, was vor der jeweils prägenden Filmperiode liegt. Für es gibt es auch wieder Aufmerksamkeit. Auch Alte werden ‚junge‘ Filme entdecken. Aber diese Filme sind sowieso da.

Der Roman hat überlebt – auch der Film wird überleben. Dabei ist er nicht mehr ‚Film‘, sondern eine riesige Datei in einem Computer. Was das für sein weiteres Überleben bedeutet, müssen wir abwarten.